Listen, Bücher, Rezensionen

 

In Internet und Buchhandel finden sich zahllose Listen und Kompendien, mal professionell, mal im stillen Kämmerlein erstellt, die uns sagen wollen, welche Platten wir unbedingt hören respektive besitzen sollten. Am bekanntesten ist wahrscheinlich „1001 Albums You Must Hear Before You Die“ (2005), dessen zwei Jahre später erschienene deutsche Ausgabe („Musik, die sie hören sollten, bevor das Leben vorbei ist“) sich zumindest im Titel nicht ganz so rigoros gibt. Enthalten sind, neben großteils üblichen Verdächtigen, auch Platten von Boston, Peter Frampton, Kid Rock, den Simple Minds, Ice T oder Mariah Carey. Bevor die auf meinem Plattenspieler landen, wollte ich eigentlich schon tot sein (falls sich das nicht testamentarisch sowieso irgendwie untersagen läßt). Vom amerikanischen „Rolling Stone“ wurde 2005 „The 500 Greatest Albums Of All Time“ (hierzulande dann 2008) herausgegeben. Auch hier gibt es wenig Überraschendes (warum auch). Soweit möglich, sind die Cover der US-Ausgaben abgebildet. Das macht die Sache vor allem bei frühen Platten z.B. der Beatles oder Rolling Stones, die in Amerika zum Teil in anderen Zusammenstellungen erschienen, nicht wirklich übersichtlicher. Daß man bei den Abbildungen gelegentlich sogar auf die CD-Hüllen irgendwelcher Nachauflagen zurückgriff, ist eines solchen Herausgebers einfach unwürdig. Und auch hier wird kein Unterschied zwischen Mono- bzw. Stereo-Pressungen gemacht. Gerade bei oben Genannten, aber auch bei frühen LPs von z.B. Bob Dylan, sind die Unterschiede da erheblich. Lesen Sie mal nach, was John Lennon zu den unterschiedlichen Ausgaben von „Sgt. Pepper“ zu sagen hatte! Ob nun eine oder gar zwei meiner Lieblingsplatten in so einer Aufstellung fehlen, ist hingegen völlig unerheblich. Ich benötige ja keine Liste, um zu wissen, daß diese einfach toll sind. Viel interessanter sind doch all die Erwähnungen von Scheiben, die man gar nicht kennt oder bisher bewußt ignoriert hat. Da bietet eine weitere Liste noch wesentlich mehr Stoff: „100 Rrecords That Set The World On Fire (While No One Was Listening)“. Diese, später noch um 30 Stück erweiterte Zusammenstellung, erschien 1988 in der englischen Avantgarde-Musikzeitschrift „The Wire“. Da hier recht viel Jazz, elektronische Musik und Veröffentlichungen der 80er und 90er Jahre verhandelt werden, kann ich unbeschwert zugeben, daß ich einen Großteil überhaupt nicht kenne. Langweiliger wird es dadurch nicht. Und besonders amüsant stelle ich mir die Redaktionssitzung vor, in der alle ihre Listen auf den großen Tisch legten! „Ach, du hast 'Metal Machine Music' von Lou Reed gar nicht dabei!?“. „Nee, war mir dann doch irgendwie zu sehr Mainstream.“... Aber lassen Sie sich von diesen (und all den anderen) Publikationen ruhig inspirieren. Es erweitert den eigenen Horizont doch ungemein, und ein paar lohnende Entdeckungen habe ich denen auch schon zu verdanken. Nur, wirklich weiterhelfen werden die Ihnen so nicht. Warum? Weil in keinem dieser Werke irgend etwas über den Klang dieser Platten ausgesagt wird! Welche Ausgabe klingt denn nun am besten? Ist es die Originalpressung des jeweiligen Ursprungslandes, die japanische Erstausgabe in rotem Vinyl, die aktuelle Anniversary-Edition mit ihrem revolutionären Remix oder gar eine CD-Ausgabe aus den 1990er Jahren? Das ist doch egal, denken Sie? Ich könnte Ihnen aus dem Stand gut ein Dutzend Beispiele nennen, die Ihnen die Freude an Ihren (und meinen) ewigen Favoriten gründlich verhageln würden! Dabei spreche ich hier nicht von Pressungen aus Taiwan oder CDs aus osteuropäischer Heimarbeit, sondern von Exemplaren, die inmitten unserer hochgelobten westlichen Zivilisation verkauft wurden oder gar noch werden! Auf der anderen Seite gibt es aber eben auch zahlreiche Fälle, in denen unsere Lieblinge nach Jahrzehnten plötzlich durch ein gekonntes Remastering oder einfach nur durch den Erwerb einer anderen Pressung nie zuvor gehörte Geheimnisse preisgeben. Auch dafür gibt es, Sie ahnen es bereits, ellenlange Listen. Die berühmteste ist die sogenannte TAS-list (TAS steht für The Absolute Sound) von Harry Pearson. Eine Aufnahme in diese audiophile Liste kann den Wert einer ganz bestimmten Pressung (genau darum geht es hier) schon mal erheblich steigern. Gern wird eine Nennung auch von Internethändlern als Marketinginstrument eingesetzt. So lassen sich astronomische Preise wenigstens im Ansatz begründen. Und, wie im Netz nicht anders zu erwarten, gibt es auch hier einen Gegenentwurf. Der stammt von Arthur Salvatore, einem Fachmann nicht nur für Vinyl, sondern auch alle Arten von High-End-Equipment, der mit wahrem Feuereifer gegen kanonisierte Weisheiten, geistig im letzten Jahrhundert steckengebliebene Sammler und Plattenhändler mit ausschließlich monetären Ambitionen vorgeht. Beide Listen sind jedoch sehr der Klassik verpflichtet. Aber es gibt auch jede Menge in den Bereichen Jazz, Folk oder Pop zu entdecken. Diese Auflistungen stellen quasi das andere Ende der eingangs besprochenen Fahnenstange dar. Und schon liegt der Hase wieder im Pfeffer! Denn hier geht es um die klanglichen Eigenschaften einer Platte (neuerdings kann sich auch mal eine SACD einschleichen) und nur um diese. Die Qualität der Musik spielt nicht etwa eine untergeordnete, sie spielt gar keine Rolle. Nur so ist es überhaupt möglich, daß nicht nur hier, sondern auch in vielen anderen Zusammenstellungen mit rein audiophiler Ausrichtung zwei Platten von James Newton Howard & Friends auftauchen. Diese wurden bei Sheffield Lab mit enormem technischem Aufwand im Direct-to-disc-Verfahren aufgenommen und sind klanglich über jeden Zweifel erhaben. Hinter den „Friends“ verbergen sich übrigens Musiker von Toto, deren Namen einem eh nicht zuerst eingefallen wären, als es darum ging, den belanglosen Pop-Jazz Howards irgendwie interessant zu machen.

 

Sie sehen, so richtig kommen wir auch hier nicht weiter. Nächster Versuch: bei der deutschen Ausgabe des „Rolling Stone“ ist vor allem Wolfgang Doebeling und Franz Schöler zu danken, die aus ihrer Vorliebe für analogen Klang kein Hehl machen und wenigstens gelegentlich auf klangliche Eigenschaften der von ihnen rezensierten Platten hinweisen. Und dann gibt es da noch „LP – Magazin für analoges HiFi & Vinyl-Kultur“. Zwar eher am Rande, aber so sachkundig wie verlässlich, werden in dieser Zeitschrift Schallplatten sämtlicher Genres sowohl nach ihrem musikalischen Gehalt als auch ihren soundtechnischen Vor- oder Nachteilen besprochen. Doch auch hier geht es ausschließlich um Neuerscheinungen oder um Wiederveröffentlichungen im zumeist höher angesiedelten Preissegment. Von all den Platten, die seit Jahren in unseren Regalen stehen, ist sowieso selten die Rede. Sollten Sie ein Exemplar besitzen, das in beiden Listenkategorien (also „Best Of...“ und „Audiophil“) auftaucht, kann eigentlich nicht mehr viel schief gehen (außer, Ihr persönlicher Geschmack spielt Ihnen einen Streich). Wenn Sie keines finden, werde ich versuchen, zumindest einige Anregungen zu geben. Aber erwarten Sie nicht zu viel, auch mein persönlicher Geschmack betritt gelegentlich seltsame Pfade! Es soll hier nicht um Dinge wie „absoluten Sound“ gehen, zumal ich meine Zweifel habe, ob ich den überhaupt erkennen würde, wenn er mich auf der Straße grüßt. Auch mit der Bezeichnung „unverzichtbar“ gehe ich sehr behutsam um. Jeder sollte selbst entscheiden, was für ihn tatsächlich unverzichtbar ist. Die berühmte „einsame Insel“ wird für uns eh nur theoretischer Natur bleiben. Also nehmen Sie sich ruhig Zeit bei der Auswahl. Ich tue es auch.